Zeitungsartikel zur Ausstellung "Über das Verschwinden zweier Flüsse" von Joe Gudole im Café Museum Passau.
Von Elke Rott, erschienen in der Passauer Neuen Presse vom 26.04.2018.
Pressemitteiung der Galerie Komma und Paul, Würzburg, am 22.04.2018.
Laudatio zur Vernissage von Hans-Peter Porzner am 24.04.2018.
Ein Bild, rot und schwarz
Bei der Vernissage im Café Museum (v.l.): Helmut Eckerl, Künstler Joe Gudole und Laudator Hans-Peter Porzner. − Foto: Rott (PNP)
In der Reihe der Einbild-Ausstellungen im Cafe Museum zeigt diesmal Joe Gudole sein Bild "Über das Verschwinden zweier Flüsse. AlphaZero aus der Sicht eines Neandertalers". Der Künstler, Mitglied der Würzburger Künstlergruppe "Goldrausch", verbindet in seiner Arbeit anthropologische Fragen mit der Computerwelt – und schwärzt sein Bild nach und nach ein, bis nur noch sein Name in roter Farbe auf dem Bild Platz findet. Sehen kann darin jeder das, was er sehen will und kann. Diese Kunst ist auf alle Fälle eine Zumutung und in jeder Hinsicht eine Geschmacksache. Und, ja, das alles darf Kunst. Die Idee, nur ein Bild auszustellen, hat in der Kunstgeschichte Tradition, im Café Museum wurde dies erstmals im Januar mit einer eigenen Vernissage umgesetzt.
− er
Galerie Komma und Paul
Pressemitteilung anlässlich der Ausstellung
„Joe Gudole – Über das Verschwinden zweier Flüsse. AlphaZero aus der Sicht eines Neandertalers“
Café Museum, Passau
25. April - 29. Juli 2018
Joe Gudoles Kunst ist komplex. Sie ist in einer Einführungsrede nicht leicht darstellbar.
In seiner Anfangsphase machte Joe Gudole traditionell wirkende  Landschaftszeichnungen. Mit zunehmender Erfahrung, was die Sache der  zeitgenössischen Kunst betrifft, entfaltete Joe Gudole eine  Ikonographie, die weit über das bloß Persönliche hinausragt. Joe Gudoles  Interesse betrifft insgesamt die Sprache der modernen Kunst im 21.  Jahrhundert. Er antwortet ihr gleichsam.
Bei dieser zweiten Einbildausstellung an diesem dafür geradezu  prädestinierten Ort des CaféMuseums (erste Einbildausstellung mit Steven  van Heeck 11. Januar 2018) geht es um die sogenannte künstliche  Intelligenz. Der Mensch hat mit Hilfe des Computers weit in seine  Anfänge als Homo sapiens hineinleuchten können. Warum ist der  Neandertaler, der Homo denisova ausgestorben? Der Computer könnte nun  auch den Menschen ablösen, d. h. der Mensch könnte „verschwinden“. Das Thema ist in den letzten Jahren immer mehr in die gesellschaftliche und mediale Aufmerksamkeit gerückt.
Wie geht nun ein Künstler mit diesem Thema um? Bei Joe Gudole ist nun  von besonderem Interesse, dass er den traditionellen Medien der Kunst  treu bleibt. Es macht ihm indes große Freude, sich als Neandertaler zu  fühlen.
− pzr
Hans-Peter Porzner
Rede anlässlich der Ausstellung
„Joe Gudole – Über das Verschwinden zweier Flüsse. AlphaZero aus der Sicht eines Neandertalers“
Passau
24. April 2018, 19.00 Uhr
Sehr geehrte Damen und Herren,
lieber Herr Jürgen Waldner,
liebe Frau Ulrike Zebisch,
lieber Helmut Eckerl,
liebe Frau Patricia Aigner,
liebe Frau Carmen Blumenschein,
lieber Steven van Heeck,
lieber Joe Gudole,
die gegenwärtige Kunstausübung befindet sich in einem argen Zustand. Der  Grad der Domestizierung durch die Presse, durch die Kulturpolitik hat  erneut erstaunliche Gebilde ans Licht befördert. Die bisherigen  Metropolen der Kunst können wir eigentlich durch den Grad einer  galoppierenden Ideologisierung abschreiben. Von dort braucht man nichts  mehr zu erwarten. Die Kunst muss also ausweichen, muss sich neue Felder  erschließen, Felder, die auch nicht mehr so einfach nachgeahmt werden  können. Ein gesteigerter Anspruch an Können in der Perspektive von  Thema, Inhalt und Form, ich spreche in diesem Sinne von Ikonographie,  muss die allgemein erstrebte Konsequenz sein, so dass in fünfzig Jahren  Kunstsoziologen wie Klaus von Beymer wieder dicke Bücher schreiben  können, der Begabung mit ihrer Unbegabung antworten können.
Steven van Heeck und Joe Gudole empfinden das offensichtlich genauso.  Das ist in kurzer Zeit nun die zweite Ausstellung mit Mitgliedern der  Würzburger Künstlergruppe „Goldrausch“, die um das Thema Flusssystem  kreist: Passau mit den drei Flüssen Donau, Inn, Ilz bezeichnet ein  hervorragendes Beispiel, wie zeitgenössische Kunst sich vor der  etablierten Langeweile retten kann, d. h. diese beiden Künstler haben  erkannt, dass der Ort optimal ist, und eine künstlerische Ressource  markieren kann.
Steven van Heeck arbeitete an einer Bildsprache, die Verschiedenes auf  der Basis dieses Flusssystems in ein Verhältnis brachte: Europa, Asien,  Russland, Japan: Meine Rede zu seiner Ausstellung am 11. Januar 2018  hier an diesem Ort kann man auf der Website der Galerie Komma und Paul  nachlesen.
Ganz anders nun Joe Gudole.
Joe Gudole spricht mehrere Sprachen, künstlerisch ist er eine  Doppelbegabung, Musiker und Künstler. Der Maler in ihm hat sich aber die  letzten fünfeinhalb Jahre durchgesetzt, deutlich an Übergewicht  gewonnen. Die Variation der künstlerischen Aussage ist in diesen wenigen  Jahren derart gereift, dass er keine Konkurrenz fürchten muss, d. h.  man muss sich damit auseinandersetzen, um die wirkliche Dimension im  Sinne auch einer Entwertung des kunstbetrieblich sich permanent  Verlierenden einschätzen zu können. Von Kunsthistorikern braucht man im  Augenblick hier ebenfalls nichts zu erwarten, wenn man die  Auseinandersetzung mit dem FAZ-Journalisten Kolja Reichert oder mit  Thomas Steinfeld von der Süddeutschen Zeitung, mit Theoretikern wie  Helmut Draxler oder Bazon Brock ausloten möchte. Die Ausstellung heißt  „Joe Gudole – Über das Verschwinden zweier Flüsse.“ Sie trägt den  Untertitel „AlphaZero aus der Sicht eines Neandertalers“.
Seit wann malt denn der Neandertaler? Die Frage ist erlaubt, man hat ja  kürzlich Höhlenmalereien entdeckt, die bis zu 115.000 Tausend Jahre alt  sind, sie können also nicht vom Homo sapiens angefertigt worden sein.
Und die F.A.Z. textet und lässt fragen, ob die zeitgenössische  Kunstproduktion diesbzgl. überhaupt Kunst sein kann. Aber wir können Ulf  von Rauchhaupt durchaus beruhigen. Selbstverständlich ist Joe Gudole  ein Neandertaler – und da meine ich nicht einfach die mehr oder weniger  viereinhalb Prozent Genbestand, die heute in jedem Homo sapiens  enthalten sein sollen. „Die Neandertaler konnten das auch“ – so der  F.A.Z.-Artikel vom 22. Februar 2018.
Ist der Homo sapiens überhaupt zur Kunst befähigt? Oder wofür zeichnet der Homo sapiens überhaupt verantwortlich?
Rettet uns der Neandertaler vor einem möglichen Gattungssuizid? Schützen  uns diese viereinhalb Prozent nicht nur, was ja ebenso eine breit  diskutierte Hypothese in der genetischen Paläontologie ist, vor  Krankheiten? Man kann doch hier weitere Hypothesen anschließen.
Soll die Kunstproduktion aussterben – man tut jedenfalls alles dazu. Man  kann bisweilen an versteckten Stellen in der Kunstgeschichte lesen,  dass sich der Mensch seiner kulturellen Wurzeln entledigt, er sägt an  dem kulturellen Ast auf dem er selbst sitzt. Und dieses Ereignis zeige  sich noch vor der Naturzerstörung: ein Apriori also.
Warum ist also der Neandertaler ausgestorben? War er es selbst, der sich  zu Tode brachte? War es die Konfrontation mit dem Homo sapiens? Oder  war seine Zeit im fatalistischen Sinne einfach abgelaufen?
AlphaZero ist der neueste Schachcomputer – er ist angeblich den  bisherigen Standards von Schachcomputern, beispielsweise Stockfish und  Houdini, überlegen. Ein Quantencomputer. Bringen die Computer den  Menschen zum Verschwinden?
„Aber kann er auch Kunst produzieren“, so die Rede der Optimisten.  Schön, dass man hier für die Kunst wieder ein Aufgabenfeld erkennen mag.  Aber ich möchte das doch etwas anders formulieren. Kann der Computer  nur im Sinne des Homo sapiens als ein Erzeugnis des Homo sapiens nun  diesen Homo sapiens zum Verschwinden bringen? Noch einmal: Nein, Kunst  soll er nicht produzieren können. Aber da wäre ich mir nicht so sicher.  Computer könnten doch nur gut finden, was sie selbst produziert haben.  Alles andere könnten sie doch mühelos ausblenden. Sie interessieren sich  doch nur für sich. Eine menschliche, eine allzu menschliche Antwort.
Löscht sich der Mensch damit selbst aus? Was bleibt vom Neandertaler  übrig? All diese Fragen betreffen das Modethema der künstlichen  Intelligenz. Sicher. Aber wie geht der Neandertaler mit diesem  Sachverhalt um? Hat er nicht bereits die Impfung des Verschwindens in  sich? Was sagen diese viereinhalb Prozent Gene des Neandertalers in uns?
Der Neandertaler spricht mich an: „Hallo lieber Herr Porzner, ich will  in Passau ausstellen und in der Donau wie der Inn und die Ilz  verschwinden!“ „Ja gut, dann schlage ich das Herrn Jürgen Waldner vor.“  Ich zu Joe Gudole: „Ja ich habe mit Waldner telefoniert,  Ausstellungseröffnung ist am 24. April. Setzen wir das Thema  Einbildausstellung also fort. Man kann natürlich die Schwärze der Ilz,  das Grün des Inns noch hunderte Kilometer nachspüren, diese beiden  Flüsse verschwinden nur dem jeweiligen Namen nach.“ Gudole entgegnet  etwas missmutig. „Ein Fisch der flussaufwärts schwimmen würde, wäre wohl  ziemlich irritiert, wenn er plötzlich nur noch eine Wasserduftnote  bemerkte. Also ich hätte eine Vorliebe für die Ilz und würde den Inn,  die Donau, das Blaue der Donau nicht vermissen. Als Fisch würde ich  darüber allerdings auch nicht weiter nachdenken.“ Soweit also eine  typische Rede von Joe Gudole. Wir wollen sie nicht weiter kommentieren.
Wir müssen natürlich schon weiter fragen und den Sinn der Ausstellung  genauer einkreisen. Das ist ja bis jetzt indes nur eine Stoffsammlung.  Genaueres erfahren wir, wenn wir uns die Struktur moderner  Kunstausstellungen anschauen. Ein gewisser Event ist offensichtlich  obligatorisch geworden, und als solcher ist eine gewisse Relativität,  was die Sache der Malerei betrifft, im Raum. Das war in den 90er Jahren  des vorigen Jahrhunderts schon bemerkbar. Und heute? Ja, heute ist die  Kunst nur noch eine Aktie, der Künstler selbst unbedeutend.
Was hat diese Ikonographie mit der Malerei zu tun? Sicher ist, dass die  Malerei schon immer sich legitimieren konnte, wenn es um Raum und Zeit  ging und genau damit eine Ikonographie unzertrennbar verknüpft war. Das  surrealistische Verfahren René Magrittes scheint mir dennoch eine  gewisse Favoritenrolle einzunehmen. Was kann heute der Raum und die Zeit  der Malerei, der Kunst sein?
Warum ich hier in meiner Rede mit Joe Gudole in einen Dialog eintrete wird gleich einsichtig.
Joe Gudole ist Maler. Vor fünfeinhalb Jahren hat er hauptsächlich  gezeichnet, begann aber dann systematisch, seine Möglichkeiten zu  erweitern. – Ganz traditionell mit Leinwand, Eitempera und Pigmenten.  Damit fällt er natürlich aus dem gegenwärtig malereifeindlichen Diskurs  heraus. Hier soll Malerei ja zum Verschwinden gebracht werden: Stichwort  „The Happy Fainting of Painting“. Mich würde allerdings schon  interessieren, wie Hans-Jürgen Hafner, Kolja Reichert usw. auf Joe  Gudole reagieren würden.
Joe Gudole kennt jedenfalls das Prinzip des Quadrats des informellen  Malers Jean Fautrier. Über vier Stationen werden Tätigkeiten, die nach  Malerei ausschauen, reflektiert und damit diese aus dem Bannfeld der  Gefahr, das ihr durch Unmittelbarkeit droht und begegnet,  herausgenommen.
Joe Gudole kennt die Gefahr von Basalimpulsen und verschiedene Methoden  ihrer Vermeidung. Basalimpulse sind unmittelbare Erfolgsbahnungen, die  aber nach einer gewissen Zeit in das Verhängnis der Erstarrung  abdriften.
Joe Gudole operiert in letzter Zeit mit dem schwarz gewordenen Farbraum.  Er hat sich hier offensichtlich an diesen vier großen Schwarzmalern  nach 1945 orientiert: an Ad Reinhardt, Robert Rauschenberg, Mark Rothko,  an Frank Stella. Was heißt es denn, wenn Farbe von Schwarz zum  Verschwinden gebracht wird?
Joe Gudole kennt viertens die in der Nachfolge von Theodor W. Adorno von  Gerhard Richter und Georg Baselitz formulierte Frage „Wie ist Malerei  nach Auschwitz noch möglich?“ und er kennt die fundamentale Bedeutung  dieser Frage. „Was heißt es denn für mich,“ so seine Frage, „wenn ich  als Deutscher Malerei betreibe?“ Wie muss sich Malerei verändern – das  betrifft schon den terminus technicus – , will sie überhaupt noch ernst  genommen werden? Welches Licht kann in dieses Dunkel überhaupt  hineinleuchten? Joe Gudole hat sich vor zweieinhalb Jahren mit Stephen  W. Hawking länger beschäftigt. Er lässt Hawking fragen: „Joe Gudole, why  do you paint?“ Diese Frage stellt ihm allerdings in einem weiteren Bild  Hubert Burda. Joe Gudole zieht dessen Programm des „Iconic turns“ damit  natürlich in einen ganz anderen Kontext. Joe Gudole denkt auch in  Serien. Er beschäftigt sich mit der „Phänomenologie des Fehlers“.
Und Joe Gudole kennt fünftens das von dem berühmten Harvard Forscher  David Reich angeschobene Problem – und Minenfeld „Genetik im Zentrum  einer neuen ‚Rassen‘- Debatte. Ich zitiere Aus dem Artikel von Axel  Meyer in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in der Rubrik Natur  und Wissenschaft vom Mittwoch, 11. April 2018, Nr. 84, S. N2: „Firmen  wie 23andme, mit der Reich zusammenarbeitet und Ancestry.com liefern  ihren Millionen von Kunden mehr oder weniger verlässliche Informationen  über die geographische Herkunft ihrer Vorfahren, medizinische Aspekte  und andere Merkmale und Eigenschaften. Problematik und Verlässlichkeit  solcher Analysen werden von Reich in seinem Buch ausführlich behandelt.  Doch die unbequeme Wahrheit, um die es Reich auch geht, ist, dass sozial  konstruierte Rassenzuweisungen oft mit genetischen Unterschieden  übereinstimmen. ‚Rassen‘ seien demnach, eben nicht nur ein rein  kulturelles Konstrukt, sie spiegelten auch messbare genetische  Unterschiede wider, die möglicherweise auch für physiologische und  kognitive Unterschiede verantwortlich sein könnten. Reich plädiert für  eine informierte Auseinandersetzung mit solchen genetischen  Erkenntnissen, gerade auch, damit sie nicht von Rassisten ausgenutzt  werden können. Sie müssten die Basis für eine offene und  wissenschaftliche Diskussion sein, denn ein Verschweigen dieser  genetischen Unterschiede bedeute, den Kopf in den Sand zu stecken. So  blauäugig betrat Reich ein Minenfeld. Dafür, dass er sich das im  Unterschied zu anderen Humangenetikern traute, kann man ihm den Respekt  nicht versagen.“ Zitat Ende. David Reich widerspricht hier ja auch dem  berühmten Hominidenforscher Svante Pääbo vom Leipziger  Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie.
In diesen Kontexten sehe ich mich gezwungen, mit dem Neandertaler Joe  Gudole in Gestalt eines wirklichen Vorfahren (Zeitgenossen) des Homo  sapiens, dem Homo naledi, ich spreche hier also nicht von irgendwelchen  parallel sich hervorkehrenden Menschenarten, nicht vom Homo sapiens,  nicht vom Neandertaler, nicht vom Homo denisova, einen Dialog zu  eröffnen, einen Dialog über das Verschwinden des Menschen in Ansehung  dieser aufmarschierenden Formationen der künstlichen Intelligenz.
Das Modethema soll uns dabei daran nicht hindern. Modethemen markieren  ja auch Methoden, um schwierige Themen zum Verschwinden zu bringen.
Gelegentlich spiele ich mit Joe Gudole im übertragenen Sinne Schach, er  hat in der Regel die schwarzen Figuren. Und dann unterhalten wir uns  darüber, dass das Erlebte nicht alles sein kann.
Diesbzgl. kehre ich also als Homo naledi – siehe hierzu meinen  Schachaccount auf chess24 – in meine jugendliche Vergangenheit vor  fünfundvierzig Jahren zurück, wo ich mit Schachspielern in der  Bundesliga gespielt, gleichzeitig aber bereits Kunst gemacht habe,  zurück, um heute gegen den Schachcomputer Stockfish anzutreten, um mich  in jedweder Hinsicht – man ist aus der Übung gekommen – nach zwanzig  Partien geschlagen zu geben. In der Tat, der Mensch hat keine Chance.  Aber ich lerne. Was lerne ich? Das fragt sich natürlich auch Joe Gudole.
Dieser Computer wirft in einer hunderstel Sekunde sofort eine Bewertung  meiner Züge aus, schnell bin ich bei der Summe von -2,51 angekommen; und  da hat man schon verloren, selbst wenn die Partie dann selbst noch  dreißig Züge dauern sollte. Ein Factum. Und dann stellte ich fest, dass  an genau dieser Stelle der Superschachcomputer AlphaZero – das ist ein  Quantencomputer, das Programm kostet etwa zehntausend € – , wenn ich ihn  mir zu Hilfe nehme, dass er dieses Ergebnis langsam wieder minimiert.  AlphaZero steuert mich gegen Stockfish langsam wieder aus der  Verlustzone, und um dann am Ende Stockfish auch noch zu schlagen.  AlphaZero hat eine ganz andere Rechentiefe und damit eine ganz andere  Stärke. Stockfish bemerkt indes sofort das stärkere Programm, er braucht  für seine Züge jetzt doch schon einige Sekunden. Heutige  Bundesligaspieler haben mir das Programm AlphaZero in Dortmund zur  Verfügung gestellt. Ich hatte vier Tage Zeit, mich von AlphaZero  erziehen zu lassen. AlphaZero, dieser gottähnliche Beistand, kritisiert  die Züge des Homo naledi nicht strukturell, sondern gruppiert die von  mir übernommene und eigentlich verlorene Schach-Stellung langsam nur um,  d.h. er rät mir nicht von meinem Ziel ab, sondern empfiehlt mir im  übertragenen Sinne nur einen anderen Weg zu meinem Zeitungshändler. Ich  soll jetzt einfach mal diesen Weg gehen. Und das kann durchaus ein Umweg  sein. Aus irgendeinem geheimnisvollen Grund bezeichnet der Umweg den  gegenüber dem kürzeren hier und jetzt den erfolgreicheren. Er empfiehlt  mir (ich spreche von auf das Individuum ausgerichteten  Optimierungsprozessen, ein Projekt, das ich mit Andreas S. Wünkhaus in  Düsseldorf und einigen Programmierern und Mathematikern jetzt begonnen  habe, auszuarbeiten – jeder kann sich hier vorstellen, was das  bedeutet), er empfiehlt mir also nach Costa Rica zu ziehen, dort gäbe  es, so die frohe Botschaft, für den Künstler Fritz Levedeg (1899–1951)  ein kunstgeschichtlich aufgeschlossenes Feld, nicht in Deutschland. Der  Computer spielt mir eine Information zu, auf die ich selbst niemals  gekommen wäre. Und das würde mir insgesamt zuarbeiten. Fritz Levedeg  spricht übrigens prognostisch von Epochen des Ikarus und von Epochen des  Homunculus. Offensichtlich kennt dieser Künstler bereits diese  Ereignisse des Verschwindens in Ansehung des unüberschaubar Chaotischen  und die Wege aus dieser Sprache heraus. Das Scheitern der Sprache ist  aber bereits spätestens seit Friedrich Hölderlins programmatischen  Aufsatz „Glück und Not“ ein Vorläufer des Computers. Der Computer hat  natürlich über mich unglaublich viele Daten gesammelt und kann sie nun  in meinem Sinne auswerten. Das macht Google und Facebook natürlich nur  bezogen auf ihre Interessen. Der Computer, der über mich besser  Bescheid, mehr weiß, als ich jemals über mich wissen kann, liefert mir  die entscheidenden Daten von Sammlern, Museumsdirektoren, des  Kulturbetriebs, der Politik usw. Ich weiß genauestens Bescheid über  Raimund Stecker, Söke Dinkla. Ich weiß, warum der Computer Daimler im  Augenblick mit -3.41 bewertet, Joe Gudole im Augenblick mit +0.81. Er  nimmt mir die Probleme ab. Ich brauche nicht mehr über die Dinge  nachzudenken, nicht mehr über diese biogenetischen Pioniere, nicht mehr  über Spiegelneuronen und ihrer Existenz oder Nicht-Existenz usw. Die  Ausstellungsreihe hier in Passau mit der Würzburger Gruppe „Goldrausch“  bewertet er mit +2.13, Passau als mögliche Kunststadt und zukünftige  Kunstmetropole mit +3.14, Berlin indes mit -1.42, New York mit -0.14,  Paris mit +0.24. Ich spreche hier übrigens nicht von AlphaZero, sondern  von dem Quantencomputer AlphaCentauri, mit dem ich ebenfalls zusammen  mit einem mir zugewiesenen technischen Helfer einige Tage arbeiten  durfte. Man kann damit natürlich auch einen Terroranschlag oder auch den  Dritten Weltkrieg kalkulieren. Der Chefredakteur des Feuilletons der  Süddeutschen Zeitung, Thomas Steinfeld, bestreitet die Gültigkeit  irgendwelcher Universalsprachen. Wie naiv. Uns gibt es doch schon alle  nicht mehr.
Der Dialog zwischen dem Homo naledi und dem Neandertaler wird hier also  genauestens von Joe Gudole, der auch Informatik studiert hat, überprüft  und ausgewertet. Das müsste man hier also noch nachreichen.
Lieber Joe Gudole, da sieht man, welche Assoziationskraft Deine Arbeit hat. Wir sind gespannt, wie es weiter geht.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit! 
− pzr
 
                        